Moin!
Gestern bin ich an den Rhein und habe nochmals eine kleinere rechtsrheinisch gelegene Feldpartie abgesucht. Ganz zum Rand eines Feldweges hin orientiert, fand sich dabei dieser größere Kratzer, aus einer wohl maasländischen Feuersteinvarietät.
4.5 cm Länge
4.5 cm Breite
1.5 cm maximaler Durchmesser
Die Arbeitskante zeigt eine intensiv genutzte Stelle über die sich die Rostspur zieht. Bei dem wahrscheinlichen Kontakt mit einem eisernen landwirtschaftlichen Gerät, scheint aber kein größerer Schaden entstanden zu sein.
Der sehr liebe und freundiche Landwirt kam dazu und sagte, dass bis zu 15 cm Tiefe gebrubbert und bis zu 25 cm Tiefe gepflügt wird. In dieser Tiefe werden die darin hineingeratenen Artefakte immer wieder "aufgemischt", zerbrochen und bestoßen, bis sie dann irgendwann einmal so an die Oberfläche kommen, dass sie gefunden werden können, sofern Jemand danach sucht.
Der Landwirt ist inzwischen sehr deutlich von einer Parkinsonerkrankung gezeichnet, was mich sehr traurig berührt hat.
Mit diesem Neufund ,ist das nun der dritte größere Kratzer innerhalb weniger Wochen, von diesem einstmals sehr weitläufigen und immer noch sehr fundreichen rechtsrheinischen Siedlungsareal.
lG Thomas :winke:
Schön, wie sich der Fund auf der abgeregneten und eher sandigen Oberfläche präsentiert. Wäre mir manchmal auch lieber als der hier vorherrschende klebrige (Lehm-)Löss, der Artefakte auch nach Regen nur schwer freigibt.
Liege ich bei den schönen großen Kratzern mit einer zeitlichen Einordnung in das Jungneolithikum, genauer MK, richtig?
LG
Holger :winke:
Zitat von: Danske in 16. November 2025, 16:15:02Schön, wie sich der Fund auf der abgeregneten und eher sandigen Oberfläche präsentiert. Wäre mir manchmal auch lieber als der hier vorherrschende klebrige (Lehm-)Löss, der Artefakte auch nach Regen nur schwer freigibt.
Liege ich bei den schönen großen Kratzern mit einer zeitlichen Einordnung in das Jungneolithikum, genauer MK, richtig?
LG
Holger :winke:
Ja, die gehören hier in die MK. Der Platz ist ein zentraler Ort dieser Zeit und Kultur. Der sandige Boden lagerte sich hier zurzeit des ausgehenden Eiszeitalters ab, als starke Stürme regelrechte Sanddünen an- und aufwehten. Die höchste Erhebung im Gelände ist auch die fundreichste Zone.
Die MK entwickelte sich im Pariser Becken und erreichte in ihrer nach Osten gerichteten Ausdehnung erst Belgien, dann die Niederlande und dann den Rhein. Am Fundplatz übersprang sie (die MK) den Flusslauf. Aus einem eigentlich völlig anders gelagerten archäologischen Großprojekt folgte ein sehr umfassendes geologisches Gutachten des LVR, das die Ortslage als Brückenkopfsituation eines urgeschichtlichen Rheinübergangs erfasst hat. Der Rhein war zu dieser Zeit noch ein ungelenkter Strom und in mehrere Arme aufgegliedert. In der konkreten Lage war eine Überquerung des Flusses über Inseln im Flußbett möglich. Die Inseln sind heute verschwunden. Der Flußabschnitt ist einer der ganz wenigen am gesamten Niederrhein, der nicht begradigt worden ist.
Diese besondere naturräumliche Lage führte dann wieder in römischer Zeit zur Errichtung einer Grenzfestung auf dem linken also gegenüberliegenden Flussufer. Die Bedeutung dieses Übergangs markieren die Bemühungen in spätrömischer Zeit, diese Festung noch einmal gesondert auszubauen und zu sichern. Aber nicht um die linksrhienischen römische Wegführung zu sichern, wie das in der sehr dominanten römischen Archäologie immer angenommen worden ist, sondern um den Rheinübergang zu sichern! Dazu war auch ein Rheinhafen angelegt worden.
Die Fundstellen der MK orientieren sich auf dem großen Areal zumeist auf die höchstgelegenen Punkte im Gelände. Da die Menschen in der MK bis heute vor allem als Rinderzüchter gesehen werden, waren sie nicht auf fruchtbare Lößböden angewiesen wie die Linienbandkeramiker. Sie nutzten die begrünten Flussufer als Weidegründe. Um ein Rind zu zerlegen und Rinderhäute zu bearbeiten benötigte man große Feuersteingerätschaften, sowohl für das Zerteilen wie auch zur Bearbeiten der Häute. Diese Großgeräte fanden sich hier in enormen Mengen und manchmal auch heute noch Belegstücke solcher Formen, die nicht total zerschreddert worden sind, wie diese Kratzer.
Die MK war noch weiträumiger hoch organisiert als die LBK. Sie konnten die Feuersteinminen von Spiennes und Rijckholt systematisch ausbeuten und die Abbauprodukte "Beilklingenrohlinge", Großklingen, großformatige Abschläge in hohen Stückzahlen weithin transportieren. Die Namengebung nach dem Fundort Michelsberg bei Untergrombach nahe Bruchsal ist eigentlich ein Unding, denn die dortigen Funde sind schon eine weit forgeschrittene Ausprägung dieser Kultur die, wie schon erwähnt, im Pariser Becken ihren Ausgang nahm und erst über das Rheinland dann weiter in den Süden expandierte.
Der hier gelegene Ort war ein zentraler Abnehmer großformatiger Feuersteingrundformen. Von hier aus gingen sie dann weiter an die umliegenden kleineren Siedlungsstellen in der rechtsrhineisch gelegenen Landschaft.
Leider liegt der Fokus aller Forschungarbeiten zur Jungstienzeit im linksrheinischen Braunkohleabbaugebiet. Dahin gehen die Gelder für die Forschung, weil dort die gesamte Landschaft aubgebaut wird bzw worden ist.
Die enorm umfangreiche Sammlung zum hier gelgenen Fundplatz wurde zwar vom LVR aufgrund ihrer überregional hohen Bedeutung umgehend übernommen, daraus entstanden aber keine Forschungsinitiativen zur Zeitstellung des Neolithikums. Auch die auf die MK folgende spätneolithische Kultur, die immer noch ohne namentliche Bezeichnung ist, hatte hier eine stark augebaute Präsenz. Daraus sind immerhin die Beilklingen aus Lousbergfeuerstein aufgenommen und dokumentiert worden, wobei bis heute wieder etliche Neufunde von Lusbergbeilklingen dazugekommen sind.
Ich werde es vielleicht nicht mehr erleben, dass hier einmal etwas aus den ganzen Fundbeobachtungen und Dokumentationen entsteht, doch um diesen Platz kommt man wissenschaftlich nicht mehr vorbei.
Eine lange Antwort auf eine kurze Frage, aber ich denke das ermöglicht eine nähere Einordnung.
lG Thomas
Hier exemplarisch noch zwei langschmale Abschlagkratzer der MK vom Fundgelände, die noch bergfrische Kortexreste aufweisen, also tatsächlich auch einen Abbau der Rijckholtfeuersteins hoher Qualität unter Tage dokumentieren.
Es sind die Stirnpartien und die vom Kortex freien Langseiten durchlaufend retuschiert worden.
lG Thomas
Hallo Thomas,
vielen Dank für Deine ausführliche, lebendige 'Einbettung' der Funde. Man 'sieht' dann regelrecht die Menschen ihre Tiere durch den Fluss treiben...
Schade, dass die Wissenschaft die Funde noch nicht bearbeitet hat...
Viele Grüße
Jondalar
Hallo Thomas,
danke für die ausführlichen Erläuterungen zur Historie und Bedeutung des Fundplatzes als Zentralort des Michelsberger Kulturkreises in der Region.
Die Flintgeräte, insbesondere die Kratzer, der MK waren, im Vergleich zu den kleinen Klingenkratzern der LBK, riesig und erinnern an die nordischen Skiveskraber. Die beiden langschmalen Abschlagkratzer haben eine gewisse Ähnlichkeit mit den Skeskrabere aus den nordischen Gefilden.
LG
Holger