Drei Varianten von Retuscheuren

Begonnen von thovalo, 12. Juni 2024, 15:47:48

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thovalo



Moin!

Ich stelle einmal Bilder von drei Varianten von Retuscheuren von einem großen Fundareal rechts des Rheinlaufs ein. Sie bestehen grundsätzlich aus vergleichsweise weichen Gesteinvarietäten wie Tonschiefer und ähnlichen Gesteinen.

Als Retuscheure sind neben Geröllen auch gebrochene oder vollständige Beilklingen aus entsprechenden Gesteinvarietäten verwendet worden.


https://steine-scherben.de/pages/was-man-so-findet/neolithikum/retuscheure.php?searchresult=1&sstring=Retuscheur#wbce_128


Jürgen Weiner schreibt dazu in  H. Floss  "Steinartefakte" (S.15)

Ausgangsform sind  nahezu immer flache Gerölle; im Neolithikum wurden Dechsel- und  Beilklingen aus Felsgestein sekundär benutzt .......  wenige Exemplare  sind offensichtlich durch intentionellen Schliff vollständig überprägt, wodurch sie einen rund- bis spitzovalen Umriss und einen spitzovalen  Querschnitt mit einer scharfen umlaufenden Kante erhielten.

Gebrauchsspuren und Geräteerhaltung

Retuscheure  zeichnen sich durch sehr charakteristische Gebrauchsspuren aus. Nach P.  Zisaire lassen sich "sehr feine Schrammen und Schrammenzonen,  dreieckig-längliche Schlagnarben, grübchenförmige oder kratzerähnliche bis zu 1 mm tiefe Vertiefungen" und "schließlich gänzlich  aufgelöste und zertrümmerte millimetertiefe Narbenfelder, die mediale  rundliche Mulden formen" unterscheiden  ........

Das erste Bild
zeigt einen ganz charakteristischen Retuscheur aus einem langschmalen randlich spitz zulaufenden Geröll mit einem zentralen Narbenfeld und jeweils einem kleineren Narbenfeld an  den Schmalenden.

Das zweite Bild
zeigt einen Retuscheur aus einem viereckigen flachen Geröll dessen Oberfläche grübchenartige Einrücke zeigt. Der obere Bereich der Arbeitsfläche ist durch die intensive Nutzung bereits weitgehend abgetragen.

Das dritte Bild 
zeigt einen der sehr seltenen beschliffenen Retuscheure. Der Fundbeleg wurde rezent durch die Landwirtschaft zerschlagen. Er konnte im Anstand einiger Jahre in zwei Stücken wieder zusammengsetzt werden, wobei eines der schmalen Endstücke  bis heute noch fehlt. Der Fundbeleg zeigt eine für ein Tonschieferstück eigentümliche rötlich bis organge Färbung die nach einigen Mutmaßungen durch Hitze enstanden sein könnte. Die Annahme ist bislang weder belegt noch widerlegt.
Nachdem an diesem Fundstück beide Oberflächen  der Breitseiten vollkommen mit Schraffuren überprägt waren , wurden die "stries" überschliffen um eine neue plane Retuschierfläche herstellen zu können.

Eine derart intensive Nutzung ist für einen Retuscher außergewöhnlich. In Kombination mit dem eigenartigen Farbspiel scheint es sich in der Zeit seiner Njuthzung um ein besonders geschätztes Artefakt gehandelt zu haben.


lG Thomas
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Wiedehopf

ZitatIn Kombination mit dem eigenartigen Farbspiel scheint es sich in der Zeit seiner Njuthzung um ein besonders geschätztes Artefakt gehandelt zu haben.

Mit etwas Phantasie kann man darauf sogar eine raubtierkopfartige Ritzung (?) erkennen  :glotz:   

Viele Grüße
Michael

thovalo

Zitat von: Wiedehopf in 12. Juni 2024, 20:47:12Mit etwas Phantasie kann man darauf sogar eine raubtierkopfartige Ritzung (?) erkennen  :glotz:   

Viele Grüße
Michael

Hör bloß auf! Das wäre es noch! Die Stücke sind mehrfach begutachtet worden und eine Darstellung wurde darin nicht gesehen. Bis auf den rötlich-orange gefärbten Retuscheur sind die Stücke mit vielen weiteren im Besitz des Landesmuseums in Bonn. Den rötlich-orange gefärbtenhabe ich noch weil zu hoffen ist noch das fehlende Eckstück finden zu können, denn die Förbung ist so einzigartig, dass sie sofort auffallen würde. Bislang hat das aber noch nicht funktioniert.
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo

#3
Der hier stammt aus denselben Zusammenhängen. Inzwischen fanden sich im Fundbereich, einem Hügel in der Flußaue, auch zwei wahrscheinlich spätaltsteinzeitlich datierende Stichel.

An diesem Retuscheur gibt es ein sogenanntes Strichbündel (links), das der abstrakten und schwer verständlichen Darstellungsweise der späten Altsteinzeit nahe kommt. In der Mitte ergibt sich der scheinbare Umriss eines abstrakten "Zeichens".

So lange ich noch dort laufen kann, versuche ich das weiter zu klären.



lG Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Wiedehopf

Kann man die Strichbündel auf dem Stück irgendwie funktional oder praktisch  erklären ? Wenn nicht wird es sich wohl um irgendeine Art 'Kunst' handeln.

Viele Grüße
Michael 

thovalo

#5
Tja, möglicherweise ...... ich habe mal den Umriss eingezeichnet der an eine abstrakte Figur erinnert ............   aaaaaaber ....  das sind zwar sicher und zweifelsfrei intentionell eingebrachte Striche, aber es ist auch ein Oberflächenfund ohne unmittelbar mögliche zeitliche Zuordnung.

Der Sichel ist inzwischen als solcher anerkannt und datiert hier im RHeinland spät- oder jungpaläolithisch.Vom zweiten Stichel habe ich noch keine Bilder gemacht.


Da sich auf den dortigen über dreißig Hektar Fundfläche zehntausende Artefakte gefunden haben und immer noch in ordentlichen Mengen zutage kommen ist da sehr viel Spielraum wohin denn diese ungewöhnlichen mit Ritlinien versehene Gerölle aus Tonschiefer nun wirklich hin gehören.

Diese Ritzinien können bestenfalls auch alle im Verlauf der Eintiefung zufällig so gelaufen sein. Dennoch war und ist es spannend, dass solche Stücke dort überhaupt mehrfach aufzulesen sind.


lG Thomas
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Fischkopp

Moin Thomas,

beim ersten Bild habe ich noch meine Schwierigkeiten darin einen Retuscheuer zu sehen. Daher großen Dank für die Vorstellung des Stückes.

Herzlichen Glückwunsch zum letzten Retuscheuer. Tolle Fundgeschichte. Das noch fehlende Teil wird sich schon noch zeigen.

Kann mir gut vorstellen dass der Flintschmied einen engen Bezug zu seinen Werkzeugen hatte und sie auch vererbte.

(Den Lieblings Hobel meines Opas halte ich auch in Ehren)

LG Fischkopp

Neos

Moin, Thomas,

auch von mir herzlichen Glückwunsch zu diesen außergewöhnlichen Fundstücken! Einfach klasse! :Danke2:  So etwas ist mir bei uns an der Küste noch nicht untergekommen (was nicht heißen soll, dass es das nicht doch vielleicht bei uns gibt). 

Aber gut ... ich sammle ja auch erst seit 44 Jahren ... :zwinker:

Viele Grüße

Frank