Das Fragment einer feinen Arbeit aus Skandinavien am rechten Niederrhein

Begonnen von thovalo, 22. Dezember 2023, 16:58:09

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thovalo

Moin!


Vorgestern bin ich im brausenden Wind und nieselnden Regen eine zweite Runde auf einem sanften Hügel direkt am rechten Niederrhein gelaufen. Dieseer Hügel und die gar nich so große umliegende Feldflur überliefern seit über zwanzig Jahres wie ein "Fundvulkan" unglaubliche Mengen an lithischen Artefakten aus Feuerstein und Felsgesteinvarietäten.

Auf dem Hügel befand sich eine Werkstatt zur Herstellung von Felsgesteinbeilklingen aus Siltstein, einem Sedimentgestein und eine Siedlungsfolge vom 6.Jahrtausend bis in die die fränkische Zeit. Die reichen Mengen an eisenzeitlicher Keramik dürfte am ehesten eine Gräberfeld an dieser exponierten Stelle vermuten lassen.

Die älteste Keramik vom Typ "la Houghette" datiert in das ausgehenden Mesolithikum. Das Mesolithikum endet in der Region ohnehin eingie Jahrhunderte nachdem im linksrheinischen Braunkohletagebaugebiet auf fruchtbaren Löss bereits jungneolithisce Siedlungen blühten.

Auf dem Hügel fand sich Vorgestern dieses Fragment eines sehr sorgfältig ausgearbeiteten Klingengeräts, dass der Traktor bei der Rübenernte leider zerbrochen und den fehlenden Teil "verschleppt" hat. Im Regen sah das Stück aus, als ob es schmelzen würde.

Das Besondere ist nicht nur die feine Bearbeitung und der immer noch messerschafte hoch fein ausgearbeitete Randverlauf sondern auch das Ausgangmaterial. Es ist erstaunlicherweise nicht die hochfeine Varietät des Rijckholtfeuerstiens aus den Niederlanden, sondern glasartig feiner Senonflint aus Skandinavien.

Die Retuschen sind ausschließlich dorsal ausgeführt worden. Der Basisbereich ist dabei intensiv ausgedünnt worden, sodass man für die Klinge wohl eine Fassung in einer Handhabe aus Holz, Leder, Holz, Rinde oder Bast annehmen kann.

Auf derselben Stelle fanden sich in den vergangenen Jahren bereits die Hälfte eine Axtklinge aus skandinavischer "Gabbro" und die singuläre Feinarbeit einer flächenretuschierten Spitze aus dem dänischen Endneolithikum oder frühen Bronzezeit.

Auch das Klingengerät weist nun nach Skandinavien. Wie schon für die beidne genannten älteren Funde angenommen wurde, liegt auf dem Hügel wohl eine inzwischen ausgepflügte ausgepflügte Bestattung eines dänischen Reisenden, der auf dem,  in der Landschaft weithin exponierten Hügel, zusammen mit seinem mitgeführten Besitz, seine letzte Ruhe fand.

Das Axtfragment und die außerordentlich fein ausgearbeitete Spitze befinden sich bereits im Besitz des LVR Rheinland/Landesmuseum Bonn. Manchmal küsst einen ja das Glück und vielleicht findet sich ja nochmal der Rest der Klinge.

Der Schlagbulbus ist höcst außergewöhnlich ausgebildet. Der wirkt wie die "Maske" eines Rochens. Kann einer unserer Nordlichter vielleicht etwas zu dem Material und ggf. auch der Ausarbeitung sagen? Der Schlagbunkt selber ist gar nicht besonders ausgearbeitet worden, was bei so einem höchst qualitätsvollen Feuerstien sicher auch nciht notwendig gewesen ist.


lG Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo

Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo



und noch ein Bild der dänischen Feinarbeit einer beidseitig hochfein ausformend flächenretuschierten Spitze vom selben Fundpunkt.



lG Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Steinkopf

Moin Thomas,

da konntest Du noch einen Glückgriff machen.
Immer schade, wenn feinste Silexarbeit auf Ackergerät trifft.

Die 'singuläre Feinarbeit einer flächenretuschierten Spitze' erinnert mich am ehesten
an einen (in der Form auch variierenden) Gerätetyp, der in dänischen Typologien als
'Madkniv' bezeichnet wird.
Anmerkung: dän. mad ist Essen, Nahrung und kniv ist Messer.
P.V.Petersen datiert diesein die 'Dolktied'ca 2.400 bis 1.800 vor Chr.
Bei einem avancierten Sammler hab ich ein solches äußerst präzise gearbeitetes Stück
schon gesehen.

LG
Jan






Wiedehopf

Hallo Thomas,

Zitatseit über zwanzig Jahres wie ein "Fundvulkan" unglaubliche Mengen an lithischen Artefakten aus Feuerstein und Felsgesteinvarietäten.

So einen 'Fundvulkan' hätte ich auch gerne. Bei sind leider fast alle topografisch interessanten Stellen in den letzten 50 Jahren überbaut worden.

Diesen feinen, glasigen Flint kenne ich aus dem hiesigen nordischen Geschiebe (Nähe Lünen), wo er recht häufig vorkommt. Die auf dem Stück vorhandenen 'Luftblasen' oder 'Steckenbleiber' hätte ich bis vor einiger Zeit noch als Indiz für eine neuzeitliche Bearbeitung eingeschätzt, bis ich hier eines Besseren belehrt wurde.

Die Idee mit dem dänischen Reisenden, der auf dem Hügel am Rhein seine letzte Ruhe gefunden hat gefällt mir  :super: .

Viele Grüße
Michael   

thovalo


Dankeschön Euch Beiden für die Bestätigung der materiellen Zuordnung und Eure Beiträge!

Dieser Fundvulkan ist massiv anstrengend und über die zwanzig Jahre die ich den ganzen Auswurf absammel auch eine Art Fluch geworden. Ich weiss genau, dass wenn ich da nicht laufe, Niemand da laufen  wird. Wenn ich dort nicht gehe, verdirbt Alles.

Das kann ich einfach nicht ertragen und schleppe den ganzen Kram in Tüten nach Hause. Punkteinmessen ist mir verboten worden, weil sie die Funddatenmengen nicht verarbeiten können. Daher darf ich die Funde nach kartierten Parzellen geordnet einreichen.


Ich schreibe hier noch etwas zu den Dimensionen dieses Platzes der sich an einem urgeschichtlichen Rheinübergang auf dem rechten Ufer erstreckt.






Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo


Der am entferntesten südliche Importfund ist der Beleg einer Prunkbeilklinge aus alpiner Jade und die am weitesten nördlichen Fernimporte des Fundplatzes stammen aus Dänemark. Das bedeutet mal ausgeschrieben, dass zwischen den entferntesten exotischen Fernimporten von Norden bis Süden auf dem Platz

MINDESTENS 2.059,7 km Entfernung liegen.

Der am weitesten in Richtung Osten entfernte Bezugspunkt von neolithischen Material ist Amphibolit vom Berg Zobten in Polen, der am weitesten westlich gelegene Bezugspunkt ist bislang St. Mihiel in Frankreich, mit einer Distanz zwischen Osten und Westen von "nur"

1.018,7 km


So einen Platzbezeichnet am ehesten mit dem Begriff eines Z E N T R A L O R T E S

Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Fischkopp

Moin Thomas,

ich denke die Abmessungen sind ausschlaggebend bei diesem wundervollen Fund.
Aus "nordischer Perspektive" ein Abschlaggerät. Wenn das gute Stück als solches von der Küste importiert wurde dann spricht es für sehr viel! Wenn es importiert und lokal so zugerichtet wurde dann noch für viel mehr!
Das Material sieht sehr gut aus und wie frisch geschlagen. So kenne ich viele Artefakte aus dem Norden.
Eine Augenweide! Danke das du deine Erfahrungen hier teilst und meinen Horizont erweiterst. Die Spitze ist wirklich schön!

LG Fischkopp