Zwei Fundbelege verzierter Siegburger Keramik aus dem 16. Jh.

Begonnen von thovalo, 12. August 2018, 14:08:51

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thovalo


Guten Tag zusammen!

Ich bin insgesamt gut eingespannt und da die Felder noch nicht geerntet und schon gar nicht neu bewirtshaftet und abgeregnet sind geht es in meiner Region aktuell recht ruihg zu.

Allerdings konnte ich eine schon über zwanzig Jahre hinweg währende Beobachtung von Zerstörungslagen einer historsichen Stadt mit einer Datierung in die Zeit der zweiten Hälfte des 16. Jhs. (1550 - ca. 1587 n. Chr.) weiter führen. Daraus stammen aktuell die beiden hier in Bildern angehangenen Belege Siegburger Feinkeramik mit Dekorauflagen.

Wie bei Spekulatiusgebäck zu Weihnachten wurden die Abbildungen in Modeln dünn ausgeformt und vor dem Brand dem bereits weiter angetrockneten Korpus des jweiligen Gefäßes aufgelegt.

Um einen bestimmten Umfang an Vorlagen von dem Gescmack der Zeit entsprechenden Bildmotiven anzulegen wurden Holzschnitte und Kupferstiche durch die Modelschneider und/oder die jeweiligen Töpferweisster in Handbüchern gesammelt. Es ist nicht erforscht ob die Töpfer selber die Modeln schnitten, das Auftragsarbeiten waren oder die Zünfte das für ihre Mitgleider gesammelt orgeniaisert haben.

Es fällt aber auf, dass es hochgradig exzellent und auf der absoluten künstlerischen Höhe ihrer Zeit ausgeführte Auflagen gibt und dann wieder regelrecht naiv ausgeführte Motive, sodass man daran denken kann, dass zumindest einzelne Töpfer die Bildvorlagen selber in Modeln umgesetzt haben.

Die BEsonderheit der Siegburger Keramik ist der dort zu findende für solche feinen Bildauflagen geeignete Ton und die handwerkliche Kunst die unterschiedlichen Elemente solcher Gefäße, wie Handhaben und Bilkdauflagen so zusammen zu bringen und zu brennen, dass sie trotz unterschiedlicher Trockungszustände nicht abplatzten oder  im Brand unansehlich verschlusten.

Beide Fundbelege sind echt gelaufene Handelsware, zeigen daher also keine Ausschuß aus den intensiv ausgeraubten Töpferhalden in Siegburg selber sondern Belegstücke die im Alltag von Haushaltungen in gehobeneren Wohlstand in der Zeit der Renaissance tatsächlich auich verwendet worden sind.

Zusammen mit den Baumaterialien zerstörter Gebäude gelangten dann auch die Gefäße in den Boden.


lG Thomas

Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo

#1


Der Fundbeleg eines sogenannten "Trichterhalskruges" aus der Siegburger Steinzeugproduktion des 16. Jhs.


Es ist immer ein Gänsehautmoment wenn nicht klar ist, ob es sich bei dem Fundbeleg der sich im Boden erstmalig abzeichnet, um ein größeres Bruchstück oder um ein doch besser oder sogar gut erhaltenes Objekt handelt. Neben dem Becher liegt das Fragment einer Schieferplatte die einmal als Teil einer Verkleidung zum Schutz einer Fassade eines zerstörten Gebäudes aus Fachwerk aufgebracht gewesen ist.

Die Besonderheit ist zunächst einmal, dass sowohl der namengebende Trichterhals wie auch der Henkel vollständig erhalten geblieben sind. Sonst fehlen zumeist der eine, der andere oder gleich beide Bestandteile. Da ein Henkel vorhanden ist spricht man einen solchen Beleg als "Trichterhals KRUG" an, ohne Handhabe wäre es ein TrichterhalsBECHER und mit einem im Trichterhals eingekniffen Ausguß würde man keramiktypologisch von einer TrichterhalsKANNE sprechen.

Das Gefäß hat eine durch Flugasche während des Brandes entstandene partielle Glasur und weist drei gleichartige Auflagen auf.

Es handelt sich um die Darstellung einer Dame in hochgeschlossener und in der Zeit der Entstehung des Gefäßes aktuell moderner "spanischer Tracht" mit einer kurzen Halskrause. Den Kopf bedeckt eine Haube. Damit handelt es sich um die Darstellung einer verheirateten Frau die bereits "unter die Haube" gebracht ist. Das ist die Darstellung einer wünschenswert tugendhaften Ehefrau. Das Bild wird von einer viereckigen Rahmung und einer runden Fassung mit Rankendekor umschlossen. In gleicher Weise wurden auch weitaus wertvolllere Silbergefäße dekoriert. Die gleichen Bildvorlagen wurden aber auch für die Dekoration von Mobiliar, für die Bemalung von Holzdecken, oder die Verzierung von Wänden mit Fresken verwendet.

Diese miniturhafen Protraits wurden von Kleinmeistern wie Virgil Solis in regelrechten "Bilderbögen" mit Dutzenden unterschiedlichen Motiven weit verbreitet.

Es ist immer ein sehr berührender Moment ein Stück vergangenen Alltag zu entdecken, das tatsächlich auch gebraucht und geschätzt wurde, dann unter dramatischen Umständen verloren ging und nun zurück ans Tageslicht kommt.

Viele solcher Gefäße wurden von Silberschmieden zusätzlich mit oft noch vergoldeten Silbermontierungen entlang der Mündung und des Wellenfußes versehen. Bei Zerstörungen wurde diese Montierungen abgenommen und in Kriegszügen als Beutegut abgerissen, geraubt und eingeschmolzen.

Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo

#2


Fragment einer großen  "Pulle" mit einer zentralen Reliefauflage aus der Siegburger Produktion.


Aus den teils sehr großformatigen Pullen wurde wohl überwiegend Wein in die Trichterhalsbecher und Schnellen aus Siegburger Feinkeramik eingeschenkt. Hier ist der gesamte Boden mit einem großen Teil des zentral angebradhten Reliefmedaillions erhalten geblieben.
Den "Rest" habe ich auch im weiteren Umfeld nicht mehr finden können.

Kunstgeschichtlich hoch interessant und hervorragend gearbeitet ist das Motiv der runden Reliefauflage. Es handelt sich um die in der Zeit der italienischen Renaissance erst wiederentdeckten Darstellung einer "Groteske". Die "Grotesken" zeigen Mischwesen von Mensch und Tier in Zusammensetzung mit floralen Elementen und Vasen als komplexe Bildkompositionen.

Die "Grotesken" wurde erst durch die Auffindung der Fresken in der  "DOMVS AVREA" des römischen Kaisers Nero Bestandteil der europäischen Kunstauffassung und wurde wieder fester Bestandteil einer hoch variantenreichen künstlerichen Darstellungsweise.

Hier zeigen sich zwei große Mischwesen aus menschlichen Ober- und tierischen Unterkörpern unterhalb eines vegetabilen Aufbaus der sich über einem Bukranion (dem skelettiertenKopf eines Rindes) erhebt. In den pflanzlichen Elementen sitzen wieder um menschliche Figuren.

Die Grotesken gibt es in unzählichen Varianten, wobei diese hier eine hohe künstlerische Qualität ihres Entwurfs aufweist.
Der Töpfer hat die Auflage beim Andrücken auf den Korpus der Pulle leider an mehreren Stellen "verdötscht".  :nixweiss:

Aber das sind nunmal die Spuren der Mühen in der Ausübung dieses anspruchsvollen Handwerks und jeder hätte sich in der Zeit damals freuen können, so ein feines Schankgefäß erwerben und besitzen zu können. An den großen Pullen wurden noch Deckel aus Silber oder Zinn montiert.


lG Thomas  :winke:


Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Wiesenläufer

Moin Thomas,

das erste Gefäß sieht sehr schön aus, nur dachte ich immer, die Siegburger Keramik/Steinzeug hat eine hellbräunliche Farbe. Würde jetzt auf diese Teile noch eine Glasur kommen ? und ein zweites mal gebrannt werden ?
:friede: Sorry, Du hattest ja geschrieben, dass die im Umlauf waren.

Gruß
Gabi
Wer viel geht, findet viel.
(Nicht auf meinem Mist gewachsen)

thovalo

#4
Zitat von: Wiesenläufer in 12. August 2018, 14:33:01
Moin Thomas,

das erste Gefäß sieht sehr schön aus, nur dachte ich immer, die Siegburger Keramik/Steinzeug hat eine hellbräunliche Farbe. Würde jetzt auf diese Teile noch eine Glasur kommen ? und ein zweites mal gebrannt werden ?
:friede: Sorry, Du hattest ja geschrieben, dass die im Umlauf waren.

Gruß
Gabi


Kein Ding!

Die Siegburger Steinzeuggefäße wurden aus weißlichen Ton gefertigt und blieben idealerweise  dann auch im gebrannten Zustand weißtonig. In den an die Siegburger Töperzunft gerichteten Bestellungen der Zeit werden die hochwertigsten Stücke auch als "witte Werk", also weiß Arbeit aufgeführt. Die Färbung konnte je nach Eisenoxydanteil in der Tonmasse auch in einen beigefarbigen Ton abweichen. Nooch im 19. Jh. und bis zur zweiten Hälfte des 20. Jhs. waren diese Gefäße unter Sammlern hoch geschätzt. Sie wirken in der Feinheit der Dekore und der Färbung wie frühes helles "Porzellan". KEramiktechnologischi handelt es sich um feuchtigkeitsfeste Steinzeugkeramik.

Die Ascheanflug erzeugte eine rötliche, hier bräunliche partiell überlagernde Glasur die rein zufällig entstand und nicht gezielt herbeigeführt wurde.

Es gab in der Zeit dann auch erste Experimente mit Koblat -oder Mangangsmalte, die bläuliche und violette Glasurflecken erzeugte. Doch konnte diese Färbung nie korrekt platziert werden, sondern verlief ohne Kontrolle über den bbildlichen Darstellungen. Erst als man verstanden hatte, dass man die Bildelemente mit Ritzungen umreißen musste, damit die Farben nicht überflossen, konnten Farbbereiche sehr exakt fixiert werden.

Die Glasurtechnologie brauchte eine Weile bis sie gut beherrscht und gezielt eingesetzt werden konnte. In Siegburg wurde im 16. Jh. keine Salzglasur ausgeführt.

Der künstlersiche Höhepunkt des Siegburger Töpferhandwerks wurde durch massive Zerstörungen spanischer Truppen für immer beendet und die wichtigen Siegburger Töpferfamilien und Meister wanderten nach Altenrath, in den Westerwald und nach Raeren ab.


lG Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Levante

Hi Thomas,

hast du sie schon verschickt, Ich habe noch keine Post von dir erhalten? :hilfe3:

Traumhafte Funde.  :smoke:

LG

Patrick
Nicht nur ein Scherben (Keramische Fragmente) Sucher sondern auch ein Scherben (Keramische Fragmente) Finder. :-)

Wiesenläufer

Moin Thomas,

Danke, für die tolle Erklärung. !!

Gruß
Gabi
Wer viel geht, findet viel.
(Nicht auf meinem Mist gewachsen)

animus

Hab es auch mit viel Interesse gelesen. Danke dafür. Wieder eine Menge gelernt :)

Daniel

thovalo

Zitat von: animus in 13. August 2018, 18:55:02
Hab es auch mit viel Interesse gelesen. Danke dafür. Wieder eine Menge gelernt :)

Daniel


Gerne!

Die Keramik aus dieser Epoche finde ich recht spannend und vielseitig.


lG Thomas
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.