laufrädchenverzierte Scherbe

Begonnen von sven, 21. September 2009, 19:44:26

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sven

Hallo!

Heute stelle ich meine zweite laufrädchenverzierte Scherbe mittelalterlicher Grauware unter ihrem richtigen Namen vor. Die erste habe ich noch für kerbstichverziert gehalten und habe sie mit eurer Hilfe richtig einordnen können. Mein besonderer Dank gilt hier Grafino, der mir den richtigen Hinweis gegeben hat und mit dessen Hilfe ich auf die Näbes-Sammlung im Leipziger Stadtgeschichtlichen Museum aufmerksam wurde. Da fand ich in der Sammlung mittelalterlicher Keramik einige so verzierte Stücke.
Ich zeige noch mal zum Vergleich beide Scherben, eine Gefäßrekonstruktion mit der ersten und ein Gefäß mit einer anderen Verzierung aus der Näbes-Sammlung.

Viele Grüße

Sven

Levante

Hallöchen,

Hier mal ein vergleichbares Fragment aus unserer Sammlung (Vergleichbares Material).

Hergestellt anfang des 13ten Jahrhunderts im Rheinhardswald.

Grüße

Patrick
Nicht nur ein Scherben (Keramische Fragmente) Sucher sondern auch ein Scherben (Keramische Fragmente) Finder. :-)

sven

noch eine schöne dazu passende Scherbe mit typischem wulstigen Rand, Riefen und Rollstempelverzierung.

Viele Grüße

Sven

thovalo

#3
 :winke:

Zur Ansicht auch aus dem Rheinland ein Beleg für die hier als "Rollstempeldekor" bezeichnete Zierweise.

Verzierter Kugeltopf (12./13. Jh.)


Scherben vom Typ der "reduziert gebrannten Breitscheider Irdenware"  
(FO: Ratingen-Breitscheid)


Die Tradition des mittelalterlichen "Rollstempeldekors" aus reduziert gebrannter Irdenware gibt es bereits seit fränkischer Zeit! (Bild 4: Fragmente von fränkischen Gefäßen mit "Rollstempeldekor". FO: Duisburg)


LG  :-)
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Levante

Hallo Sven,

von der Warenqualität wohl kaum mit Breitscheider-Ware von thovalo zu vergleichen.

Sehr gute und sauber gearbeitete Grauware.

Jedoch wird das gezeigte Breitscheider Fragment auch nur von einer Abwurfhalde stammen?

Grabungen hat es da, so weit mir bekannt, leider noch keine gegeben.

Und bisher wird dieser Töpferort wissenschaftlich auch eher als ländlich eingestuft, was ich aber nicht so recht glauben mag.

Ist nur zu hoffen, das es in Zukunft noch mal eine Grabung geben wird, welche Licht ins Dunkel bringen wird.

Grüße

Patrick
Nicht nur ein Scherben (Keramische Fragmente) Sucher sondern auch ein Scherben (Keramische Fragmente) Finder. :-)

thovalo

#5
Hallo Patrik!   :winke:

Aus Breitscheid gibt es leider tatsächlich immer noch nur durch Erosionsvorgänge offen gelegte Befunde und die daraus für den LVR geborgene Präsenzsammlung von Gefäßbelegen. Die wichtigste Scherbenhalde ist in den  vergangenen Jahren von Kölner Raubgräbern und einigen Privatleuten vollkommen zerstört und ausgeräumt worden.

Es handelt sich um eine Töpferregion die sicher mehr Gefäße produziert und verbreitet hat als Paffrath. Belegstücke fanden sich im Keramikmaterial aus der Bauzeit des Kölner Doms, im Stift Villich bei Bonn und der Feste Zons. Ein absoluter "Ausreißer" stammt vom Deutschen Handelshof der Hanse in London! In Duisburg ist das die beherrschende hochmittelalterliche "reduziert grau" gebrannte Irdenware, die immer noch unzutreffend Brüggen-Elmpt zugeschrieben wird. Die unterschiedliche Bewertung liegt darin begründet, dass zum Zeitpunkt der Entdeckung das Thema "reduziert gebrannte Keramik des hohen Mittelalters" beim LVR bereits "durch" war und alt tradierte Fehlansprachen und Fehleinschätzungen von Generation zu Generation abgeschrieben und weiter "tradiert" wurden und werden!

Breitscheid, die Produktionsstätten erstrecken sich allerdings bis weit nach Ratingen-Lintorf hinein, verfügte gegenüber Paffrath und Brüggen-Oebel über ein deutlich vielseitigeres Gefäß- und Dekorspektrum, das auch dem gehobenen Bedarf angepasst war (Ofenkacheln, Bodenkacheln, Sonderformen)!

Aus dem Jahr 1362 stammt für Töpfereiangelegenheiten in Breitscheid die erste urkundliche Erwähnung durch das Verzeichnis des Todes des Töpfers, des "ulener gerhardus tho lynepe" und der daraus entrichteten Abgaben an das Kloster Essen-Werden.

Begründet wurde die Keramikproduktion auf dem Territorium der damaligen Reichsstadt Duisburg, unmittelbar im Bereich der Tonlagerstätten, die bis in das 20. Jh. hinen weiträumig ausgebeutet worden sind! In diesem Zusammenhang wurde wohl auch die örtliche Burg gegründet, die das Gewerbe und den Absatz über die "alte Kölner Landstrasse" kontrollierte und steuerte.

Im Übrigen sind hier große Vorratsgefäße, oft falsch als vermeintliche "Elmpter Amphoren" angesprochen, bereits deutlich vor Aufnahme der Produktionsaktivitäten bei Brüggen-Elmpt hergestellt worden.

Vermutlich steht die Breitscheider Keramikproduktion in der Nachfolge der Tradtition der "Averdunkkeramik" aus Duisburg und wurde auf Reichsbesitz unmittelbar in den Bereich der Tonlagerstätten "ausgelagert" oder nach einer Zeit der Unterbrechung neu gegründet.

Das mal als kurzer Abriss! Wenn´s interessiert, kann ich ja mal eine Auswahl der für den LVR zusammengetragenen und dokumentierten Belegstücke der "Breitscheider Keramik" einstellen,
zu denen auch das abgebildete Kugeltopffragment gehört!

LG thovalo  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Levante

Hallo Thomas,

da blutet mir wieder mal das Herz, wenn ich das lese.

Das Schicksal der Breitscheider Ware teilen leider auch noch etliche andere verkannte Töpferzentren.

Das mir am nähesten bekannte und verkannte ist Marienthal Aulhausen bei Rüdesheim am Rhein.

Wir sind zwar nicht viele Keramikbegeisterte hier im Forum, aber die die es sind, sind es mit ganzen Herzen.  :zwinker:

Und über Bilder des Breitscheider Warenspektrums würden ich (und bestimmt auch anderen) mich sehr freuen.

Desweiteren wird es zumindest im geringen Maße dazu dienen, auch Anderen, denen dieser Töpferort bislang noch nichts sagte, bekannter zu machen.

Ich war in der Vergangenheit mal in Ratingen im Museum, da war zu meiner Enttäuschung bis auf einige wenige Fehlbrände leider nichts ausgestellt. Somit war die lange Fahrt nahezu umsonst.

Aber es freut mich zu hören, das wohl wenigstens einige Belegstücke gesichert werden konnten.

Ich freue mich schon auf deinen Beitrag.

Grüße

Patrick



Nicht nur ein Scherben (Keramische Fragmente) Sucher sondern auch ein Scherben (Keramische Fragmente) Finder. :-)

thovalo

#7
Hallo Patrik!

Freue mich sehr, dass Du so gut beschlagen, interessiert und engagiert bist. Die einzige ausführliche Publikation zur "Breitscheider Keramik" (Ratingen-Breitscheid/Kreis Mettmann) ist 2003 in der Reihe des Stadtarchivs Ratingen im "Ratinger Forum". Band 8. unter dem Titel:

" Die mittelalterlichen Töpfereibezirke von Breitscheid und Lintorf " erschienen. Diese Ausgabe ist dort sicher noch zu bekommen (Adresse und Anschrift findest Du im Internet!) . Sonst gibt es noch Artikel mit Kurzvorstellungen in der Reihe: "Archäologie im Rheinland".

Spannend ist, dass das Interesse an dieser Produktionsstätte in den Niederlanden überraschend groß ist. Vor einigen Monaten waren zwei Wissenschafter der Universität Amsterdam zu einer Exkursion im Gelände hier. Sie waren vollkommen entsetzt darüber, dass nicht eine der Fundstellen unter Schutz gestellt ist und waren angesichts der gewaltigen Zerstörung einer der wichtigsten und enorm großen Abwurfhalde von Fehlbränden sprachlos.  :heul:  Die Tatsache ist dem LVR, einschließlich eines von den Verantwortlichen wahr genommenen Ortstermins, zwar unmittelbar angezeigt, jedoch nicht weiter verfolgt worden. Ich werde von der traurigen Ansicht mal einige Fotos machen und hier einstellen!

Weder die Stadt noch der LVR haben irgendeine Initiative ergriffen. Viele der in der Arbeit aus dem Jahr 2003 (!) dokumentierten und detailliert in ihrem Fundbestand beschriebenen Fundstellen, sind inzwischen dem Straßen- und Haubau, der Anlage von Regenwasserrückhaltebecken und einmal, wie schon betrauert, organisierten Raubgrabungen zum Opfer gefallen.

Es existieren zwei systematisch und fachlich fundiert zusammen getragene Präsenzsammlungen. Eine ist dem LVR, Außenstelle Overath vollständig übertragen; die zweite ist noch hier "vor Ort" um mit dem Material weiter arbeiten zu können.

Sehr gerne werde ich mich die Tage an eine Dokumentation von Belegstücken machen!   :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Levante

Hallo Thomas,

ich kann mich vor Begeisterung kaum noch auf dem Sessel halten.

Da müssen meine Frau und ich wohl doch demnächst noch mal eine Tour ins Rheinland machen und uns die beschriebene Sammlung anschauen.

Und auf deine Bilder freue ich mich auch schon ungemein.

Grüße

Patrick
Nicht nur ein Scherben (Keramische Fragmente) Sucher sondern auch ein Scherben (Keramische Fragmente) Finder. :-)

thovalo

Aus der zuletzt erwähnten Sammlung werden die Bilder stammen!  :zwinker:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo

#10

Erste Beispiele der "reduziert gebrannten Irdenware" aus Ratingen-Breitscheid (Kreis Mettmann/NRW)


:-)  Bilder 1-3

Krugfragment. Fehlbrand. 12./13. Jh. n. Chr. Rollstempeldekor.

Die Henkel sind handwerklich stets sehr sorgsam ausgezogen und angarniert. Dies ist ein konkretes Unterschiedungsmerkmal zur flüchtigeren Massenprodukten bei Brügen-Oebel (Kreis Viersen).

An dekorierten gehenkelten Gefäßen wurde erst das Rollstempeldekor umlaufend ausgeführt und dann der Henkel auf die Dekorzone aufgesetzt.  :glotz:

         
        Höhe: 19.5 cm



:-) Bilder 4-5

Henkeltopf. 12./13. Jh. n. Chr.

         
         Höhe: 8.8 cm



:-) Bild 6

Becher. Fehlbrand. 12./13. Jh. n. Chr.

         
        Höhe: 14.8 cm


:winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.