Ein neues "Portrait" einer hochmittelalterlichen Stielkanne des 12. - 13. Jhs.

Begonnen von thovalo, 22. Juni 2013, 13:06:23

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thovalo


Dieses Gefäß aus der Zeit des 12. - 13. Jhs. n. Chr. aus reduziert gebrannter Irdenware fand sich vor über einem Jahrzehnt an einer Abbruchkante im Gelände, so wie es bis heute erhalten geblieben ist. Nichts ist ergänzt oder geklebt.

Deutlich ist die Grundform des Kugeltopfes zu erkennen. An die Grundform wurden drei Beine, ein (alt gebrochener ) Stielgriff und ein gekniffener Ausguss angarniert.

Durch den Kniff im Ausguss ergibt sich ein dünner kontinuierlicher Strahl beim Ausgiessen des Inhalts.


lG Thomas  :winke:

es ist gar nicht so einfach ein solches Gefäß so dar zu stellen, dass die Form und ihre Besonderheiten klar erkennbar werden
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Saxaloquuntur

Eine gezogene Schnauze am Ende eines Rohres (Tülle) war mir bislang nirgends auf gefallen. Gibt es eine Idee zum Verwendungszeck? Die Öffnung bzw. der Querschnitt des Rohres hat auch einen auffällig großen Durchmesser im Verhältnis zur Größe des Gefäßes. Ich kann es mir im Moment nicht im profanen "Haushalt" vorstellen. S.

grünland


Ja, das ist ein sehr schönes und hochinteressantes Stück.
Vielleicht ein Michkännchen?
Der LVR unterstützt die stadtgeschichtliche Abteilung des Ratinger Stadtmuseums mit ca. 30.000 Euro.
Parallel dazu wird wahrscheinlich wieder ein zerdötschter Kugeltopf Zeugniss der Ratinger-Töpferkunst sein......

LG
Guido

Leseratte

Hallo,

ich bin Köchin und rein aus praktischer Sicht kann ich mir vorstellen, daß man mit solch einer Kanne das Fett von einer Flüssigkeit trennen kann.

VlG Leseratte
Ich kenn mich nur in Almerode aus.

Saxaloquuntur

Zit.grünland
vielleicht ein Michkännchen?

LG
Guido


schlechter Scherz  :narr: SaX.

Ishtar

Zitat von: Leseratte in 22. Juni 2013, 14:49:12
Hallo,

ich bin Köchin und rein aus praktischer Sicht kann ich mir vorstellen, daß man mit solch einer Kanne das Fett von einer Flüssigkeit trennen kann.

VlG Leseratte

An ein "Trenngefäß" hab ich auch gedacht. Milch lässt man stehen, "oben" setzt sich der Rahm ab.  :schaem:
Není všechno zlato, co se třpytí.

Leseratte

Grapenfüße deuten auf erwärmen hin. Gänseschmalz o. ä.?

VlG der größte Klugscheißer unter der Sonne
Ich kenn mich nur in Almerode aus.

Ishtar

Okay, aber auch Milch wurde warm gehalten, damit sich der Rahm schneller bildet. Im Winter sicherlich angebracht. Vielleicht mache ich hier auch gerade die absolute "Milchmädchenrechnung" auf, deshalb klinke ich mich an dieser Stelle aus.

Viele Grüße

:winke:
Není všechno zlato, co se třpytí.

thovalo


Danke für Eure Anregungen. Spannend! Fett und Milch waren ja sehr wichtige Produkte im hohen Mittelalter. Es gab noch eine kleinere Ausgabe, die hatte keine "Grapenbeine" sondern lediglich zwei Knubbel als Gegen"gewicht" zur Handhabe.
Dieses kleinere Töpfchen konnte man wohl direkt in die Herdglut stellen.
Auch an dieser kleineren Form war die Schnauze der Tülle eingekniffen.
Leider ist dieses kleinere Gefäß im Verlauf einer Ausstellung gestohlen worden.

Ich glaube in der Sammlung hier liegt noch ein größeres Fragment eines solchen Gefäßbelegs mit zwei Knubben und der gekniffenen Schnauze vor. Muss ich mir mal raus suchen!

Euch nochmal Danke  glG Thomas  :winke:

Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Levante

Guten Abend,

sehr schön, dass es mal so zahlreiche Äußerungen gibt.

Zur möglichen Verwendung möchte ich mal nichts sagen, da ich absolut keine Ahnung habe.

So absolut selten ist diese Gefäßform nicht, anbei mal Bilder von einem Stück, von dem ich noch wusste, wo ich die Bilder habe.  :zwinker:

Man kann es in Rotterdam im Zentraldepot betrachten. leider fehlt mir ein solcher seltener Fundbeleg noch gänzlich, sogar in Scherben.

Gefunden in den 1960er Jahren im Reinhardswald bei Gottsbüren, die Abwurfhalde wurde etwas später auch archäologisch ergraben.


Die Tüllenform an sich ist bei uns in Hessen die absolute Regel, ebenso in Niedersachsen, im Rheinland allerdings habe ich bislang noch kaum welche sehen dürfen.

LG


Patrick
Nicht nur ein Scherben (Keramische Fragmente) Sucher sondern auch ein Scherben (Keramische Fragmente) Finder. :-)

thovalo

"So absolut selten ist diese Gefäßform nicht, anbei mal Bilder von einem Stück, von dem ich noch wusste, wo ich die Bilder habe.  Man kann es in Rotterdam im Zentraldepot betrachten. leider fehlt mir ein solcher seltener Fundbeleg noch gänzlich, sogar in Scherben."

:dumdidum:   Was denn nu!?      :-D


SELTEN auf jeden Fall und ein so zentrales Museum wie Rotterdam hat natürlich auch solche Premiumstücke am Lager!
Die sammeln ja seit Jahrzehnten und haben einen Zufluss auch aus Grabungen und sonstigen Zuweisungen aus allen Himmelsrichtungen.

Das von Dir gezeigte Stück ist offensichtlich wieder zusammen geflickt worden und zeigt die Ausführung mit zwei seitlichen Standknubben.  :glotz:

Ratingen-Beitscheid/Lintorf weist sowohl in diesen Stücken wie auch in den Tondeckeln auf Einflüsse aus Westfalen entlang des Hellweges hin. Nächst gelegene Einflüsse finden sich im Fundmaterial der Töpfereien von Groppenbroich bei Dortmund

lG Thomas  :winke:


Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Saxaloquuntur

Ich denke sicherlich selten in einer Privatsammlung, aber ansonsten in Museumssammlungen belegt. Ich glaube niemand wollte sagen, dass thovalo einen Massenartikel zu Hause stehen hat und er es nicht wert ist, hier gezeigt zu werden. Wenn sogar den Spezies nichts zum Verwendungszweck einfällt, hat das schon was zu bedeuten.
Ist das nun etwas "Alltägliches zu dieser Zeit"/Profanes, weil die Dreibeinigkeit die Verwendung auf dem offenen Herdfeuer bezeugt,  oder geht es in die Richtung einer gehobenen Tischkultur (ähnlich den Aquamaniles)? Müssen wir es in einer Alchemistenküche/Apotheke suchen oder beim braven Bauersmann? Wenn etwas häufig zu einer bestimmten Zeit vorkommt, kann die Erhaltung bzw. das unbeschädigte Überkommen in unsere Zeit dennoch ein seltenes Ereignis sein. Bei mir ist es jedenfalls sehr selten, weil es in meiner Sammlung gar nicht vorkommt, und das meint wahrscheinlich auch Levante.  SaX

thovalo

Oh, ich bin gar nicht angezickt!
Ich fand die Dopplung von "selten" ganz lustig .....  :winke:

Es gib ja die Aquamanile, die meist als dekorative figürliche Stücke auch in Ton gefertigt worden sind.
Eine Funkton zum Hände waschen am Tisch wäre gut vorstellbar.
Dazu müsste das Gefäß ja auch "standhaft" sein.

Es ist am Ort auch Keramik hergestellt worden die erst eimal in Luxemburg als so genannte "Burgenkeramik" bekannt geworden ist.
Es handelt sich um teilflächig glasierte Krüge des 12. - 13. Jhs. Ich denke, weil diese Besonderheit hier in einer Töpferregion rechts des Rheinlaufs eine absolute Aussenseiterstellung hat konnte die professionelle Archäologie damit bislang noch gar nichts anfangen.

Diese "Burgenkeramik" gilt als Geschirr für den Bedarf sozial gehobener Haushalte wie auch die hier hergestellten spitz ausgezogenen Ofenkacheln.

Leider sind die Zerstörungen im Bereich der Töpferbetriebe durch Baumassnahmen und Raubgrabungen nach dem Bemerken der regionalen Töpfertradition rasant schnell voran gegangen, sodass keine besser erhaltenen Belegstücke dieser exotischen Keramikvarietät mehr gesichert werden konnten. Der Scherben dieser Ware ist im Gegensatz zur sonstigen Gewohnheit der regionalen Töpferei oxidierend gebrannt.
Auch die Randformen weichen von den Grauwarekannen und Grauwarekrügen signifikant ab.

Daher würde eine solche Verwendung als Tischgeschirr/Teil einer im hohen Mittelalter sich verfeinernden Tischkultur im weiteren Sinne nicht auszuschließen sein!

Die Herstellung solcher Formen setzen sich bis in die frühe Neuzeit und Neuzeit fort. Da sind Gefäße mit Standbeinen Handhabe und Ausgusstülle reguläre Formen.

lG Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Saxaloquuntur

Richtig, hier teilweise auch mit der Handhabe als "Rohr"/Tülle. S.

grünland


Hallo,
ich weiß der Beitrag ist schon älter. Ich hatte nur jetzt zufällig dieses Foto in eines meiner "Bilderbücher" entdeckt.
Thomas sprach es an. Ein dem Breitscheider Stück sehr änliches Belegstück wurde in Dortmund-Groppenbruch entdeckt. Im Buch bezeichnet als
- jetzt wirds aber spannend - als....: Kugeltopf mit Henkel, Standbeinen und Tülle  :staun:

LG
Guido

thovalo


Danke für die Abbildung!  :super:
Etwas hölzerne Ansprache  :-)

Ich habe mir nochmal das Breitscheider Inventar besehen.

Es gibt eine beflissentlich ignorierte ältere Produktion in Breitscheid.
Diese datiert in das 10. / 11. Jh. n. Chr.

Diese umfasst Kugeltöpfe, Kugeltöpfe mit "Schwalbennesttüllen" und kleine Schalen wie sie insbesondere aus Westfalen bekannt sind.
Die räumliche Beziehung dieser Gefäßtypenkombination kann über Essen-Werden und den Wirkungsbereich des heiligen Liudger hergestellt werden. Dazu noch größere bauchige Gefäße mit einzeiligen Rollstempeln die Duisburger Traditionen wieder spiegeln. Das Fundaufkommen beschränkt sich auf einen kleineren Bereich ist aber sehr klar fassbar. Ausnahmefunde sind zudem zwei Belegstücke runder Tonplatten mit Henkel und Ritzdekoren. Vergleichsstücke sind bis heute allein aus Paffrath überliefert.

Da ist noch viel interessantes in den vorliegenden Fundinventaren zu beschreiben!

lG Thomas   :winke:


Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.