Das Keramikspektrum eines germanisch-fränkischen Grenzortes

Begonnen von thovalo, 11. November 2018, 19:03:28

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thovalo

  

Hallo zusammen!

Die Siedlungsstelle von der die Keramikfunde her stammen ist seit 2004 bekannt. Es handelt sich vermutlich um eine in der Zeit der Spätantike einmalig durch den "anonymen Kosmografen von Ravenna" namentlich aufgeführte überregionale Handelsniederlassung mit einer komplexen Siedlungsgeschichte und -struktur. Drei archäologische Sondagegrabungen haben eine überraschen d gute Befunderhaltung sowie das Vorhandensein einer Metall- und  Glasproduktion innerhalb der für die Zeitstellung des 1- bis 11. Jh. n. Chr. ungewöhnlich große und mit ca. 1.00 Jahren einzigartig lange bestandenen Ansiedlung vor der römischen Provinzgrenze dokumentiert.

Bei einer kurzen Begebung konnte ich in am vorvergangenen Wochenende unter wenig günstigen Voraussetzungen einige Keramik bergen die das gesamte Zeitspektrum der Siedlungskativtäten abdeckt. Die Siedlung liegt in der direkten Kontaktzone vor der römischen Reichsgrenze. An den Ort gelangte zu allen Zeiten seiner Geschichte Keramikgefäße aus vielfältigen Produktionen und Regionen, was die Bedeutung als Handelsposten deutlich macht. In diesen Gefäßen befand sich weit überwiegend das eigentliche Austausch-. oder Handelsgut (Honig, Wein, Öl, Saatgut, eingelagerte Lebensmittel, Farbpigmente usw.). Das Spektrum der Gefäßkeramik reicht von römischen Amphoren bis zu ottonischen Keramikbelegen. Die in den Haushalten verwendete Alltagskeramik stammt dem gegenüber aus regionaler Produktion.

Ich habe eine Auswalhl charakteristischer Belege ausgesucht. Seit Entdeckung der Fundstelle sind sehr umfangreiche Mengen an Keramikfragmenten aus dem Zeitraum des Bestehens er Ansiedlung geborgen worden.
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo

#1


Auf dem vorangegangenen Foto befindet sich Oben rechts das Fragment eine römischen Leistenziegels (TEGVLA). Die Tegulae wurden über den Rhein hinweg geschafft und am Ort insbesondere im Bereich hitzeintensiver Werkplätze als Bodenbeläge verwendet (Metall- und Glasverarbeitung).

Eine Besonderheit im Fundaufkommen bildet das Wandungsfragment einer großen Reliefschale aus TERRA SIGILLATA. Diese großen Schalen verzierter hochwertiger Keramik wurden bei Verfügbarkeit gelegentlich im germanischen Kontext  als Grabbeigabe in Bestattungen germanischer Personen verwendet. Die bereits sehr verwitterte Oberfläche lässt noch das Dekor des umlaufenden Eierstabes und darunter Reste eines gerahmten Rundmedaillions erkennen. Solche Schalen wurden u. a. im 2.-3 Jh. n. Chr. in Rheinnzabern produziert und weithin verhandelt.

Über die Handelskontakte wird auch diese hochwertige römische Keramik in die Siedlung gelangt sein.
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo

#2


Wichtig sind an diesem Ort die extrem zahreichen Belege spätantiker Keramik aus Mayen in der Eifel. Diese wird auch als "Kastellkeramik" angesprochen da ihr Vertrieb offenbar eng mit der Adminstration der spätrömischen Militräverwaltung verbunden gewesen war. Der Fundort, der sich unmittelbar vor der römischen Reichsgrenze befand, scheint eine besondere Stellung eingenommen zu haben, da an diesen Ort außergewöhnlich zahlreiche Gefäße dieser Produktions gelangt sind. Die drei neu gefundenen Randbelege, von den ich zwei Belegstücke in der Hand halte, repräsentieren alleine schon drei dieser Gefäße aus der Zeit des 5. Jhs. n. Chr.
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo

#3


Aus der unmittelbar anschließenden fränkisch- merowingerzeitlihen Epoche liegen neben zwei Randstücken alleine aus dieser einen kurzen Begehung die Belege der Böden von 11 unterschiedlichen Wölbwandtöpfen vor.
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo

#4


Aus der anschließenden fränkisch-karolingischen Periode stammen Belege einheimischer wie eingeführter Keramikgefäße.
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo

#5


Sehr ausdrucksstark und in Siedlungszusammenhängen außerhalb des Kölner Raumes sind nur selten derart aufwändig rollstempelverzierte Randbelege von Gefäßen "Badorfer Machart" nachzuweisen. Bei diesen Stücken ist aufgrund der charakteristischen Merkmale tatsächlich auch von einer Herkunft aus der namengebenden Keramikproduktion bei Brühl-Badorf am Kölner Vorgebirge auszugehen. Von den gleichzeitig hergestellten großen Badorfer Refliefbandamphoren gibt es aus der Ansiedlung bereits zahlreiche Fundnachweise mit unterschiedlichen Dekorvarianten (Roll- und Einzelstempeln).

Das Gleiche gilt auch für die zwei dann bereits ottonisch datierenden bemalten Keramikbelege in "Pingsdorfer Machart", die ebenfalls aus dem namengebenden Töpferort Brühl-Pingsdorf stammen werden und über Köln den Rhein entlang per Schiff verhandelt worden sind.

Dabei bleibt es zu beachten, dass nicht die Gefäße das Handelsgut waren sondern als "Container" für die darin gefassten Güter dienten.
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo

#6


Eine besondere Rarität stellt ein rollstempelverziertes Wandungsfragment aus "karolingischen Steinzeug" dar. Die pockige Struktur, der zweifarbig geschichte Scherben und die harte gesinterte Brennweise verweisen auf eine Herkunft des karolingischen Kugeltopfes aus Brennöfen die in der direkten Nachbarschaft von Pingsdorf und Badorf im Ort Walberberg ergraben worden sind. Diese Keramikvarietät lässt sich nur sehr selten außerhalb des Köln-Bonner Raumes in Siedlungszuammenhängen belegen. Da der Fundort die Schnittstelle zum westfälischen Hellweg markiert ist zu bemerken, dass solche seltenen Gefäße, wie die Badorfer Art und das Stück aus Walberberger Produktion, unter den Schallgefäßen von Meschede auftreten und damit auch hervorragend klar in die karolingische Epoche datiert werden können.

Die meisten der am Ort gefundenen Belege karolingischer Kugeltöpfe aus "karolingischen Steinzeug" stammen dagegen aus Mayen in der Eifel.

Die Fundregion gehörte zu den herausragend wichtigen Regionen im Verlauf der Kriege Karls des Großen gegen die Sachsen und diente der Festigung der karolingischen Herrschaft östlich des Rheins. In unmitelbarer Nähe war um 700 n. Chr. das Kloster des angelsächsischen Missionars Suitbertus auf fränkischen Königsgut entstanden das der Hausmeier Pippin und seine Frau Plektrudis stifteten. Dann folgte kurz vor 800 die karolingische Missionsabtei "in werthina"bei  Essen-Werden und das hochadlige Damenstift in Gerresheim. Zuletzt folgte in Ottonischer Zeit die Gründung des kaiserlichen Reichsstifts "asnida" in Essen, das von Töchtern und Enkelinnen aus dem Ottonischen Kaiserhaus geleitet wurde. Archäologische Funde aus dieser Zeitschiene sind überall außerordentlich selten und wissenschaftlich so wertvoll wie aussagekräftig.

Aus der karolingischen Zeit der Siedlung stammt etwa das berühmte "Werden casket" in Vicoria und Albert-Musuem London sowie der "Tragaltar" des Heiligen Ludgerus im Werdener Klosterschatz. Aus der Ottononischen Schlußhase der Siedlung sind im Essener Domschatz die "goldene Madonna", die älteste erhaltene Marienfigur westlich der Alpen und das monumentale "Gerokreuz" in St. Magaretha in Gerresheim bis heute erhalten geblieben. Die Siedlung war in einem dicht und tiefgehend christianisierten Umfeld eingebettet. Das bedeutete eine hohe Präsenz von Herrschaft, herrschaftlicher Struktur und adminstrativer Ordnung. Daher ist ggf. auch schon mit einem frühen christlichen Bau am Ort zu rechnen (Memoria oder Kapelle in Holzbauweise).

In Sichtweite der Siedlung bestanden noch zwei einzelne nahe beieinander gelegene fränkische Hofesstellen die vom 6. bis zum 8. Jh.n. Chr. exisitiert haben.
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Levante

Grüße aus Mexiko,

Mensch Thomas, da hast du dich mal wieder selbst übertroffen. Sehr schön gemacht und tolle Bilder.  :Danke2:

LG Patrick
Nicht nur ein Scherben (Keramische Fragmente) Sucher sondern auch ein Scherben (Keramische Fragmente) Finder. :-)

Wiesenläufer

Moin,

ein interessanter Beitrag.  :super:

Eine kontinuierliche Besiedlung mit dazu begleitenden Funden, finde ich absolut spannend.

Gruß
Gabi
Wer viel geht, findet viel.
(Nicht auf meinem Mist gewachsen)

thovalo

Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.